
Meinung
Strukturelle Korruption.
Datum
12. Juli 2025
In Spanien ist Korruption keine Anomalie. Sie ist eine Konstante. Sie begleitet das politische Leben seit jeher. In regelmäßigen Abständen schaffen es neue Skandale in die Schlagzeilen: illegale Provisionen, manipulierte Auftragsvergaben, Steuerhinterziehung, Machtmissbrauch. Und wie immer sind die Reaktionen vorhersehbar: kurzzeitige Empörung, leere Erklärungen – und dann… nichts. Der Kreislauf wiederholt sich. Und das Beunruhigendste ist, dass es niemanden mehr überrascht.
Was in Spanien passiert, ist nicht einfach eine Abfolge isolierter Fälle. Es ist eine Funktionsweise. Eine strukturelle Korruption, die sich in die Institutionen, die Parteien, die öffentliche Verwaltung und – in gewissem Maße – auch in die politische Kultur des Landes eingebrannt hat. Es geht nicht nur um Geldumschläge oder städtebauliche Machenschaften. Es geht um ein Netzwerk klientelistischer Beziehungen, gegenseitiger Gefälligkeiten, Drehtüren und stillschweigender Komplizenschaft. Es geht um ein System, das sich selbst schützt.
Im Vergleich zu den Ländern Nordeuropas ist der Kontrast brutal. Dänemark, Finnland oder Schweden sind keine Utopien, aber sie haben es geschafft, solide, transparente Institutionen aufzubauen und eine politische Kultur zu etablieren, in der Rücktritte beim geringsten Verdacht auf Unregelmäßigkeiten selbstverständlich sind. Dort ist die Steuerlast sehr hoch – aber ebenso die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen. Die Bürger zahlen Steuern, ja, aber sie wissen, dass dieses Geld in Form von Bildung, Gesundheitswesen, Infrastruktur zurückkommt. Und vor allem vertrauen sie darauf, dass es nicht auf dem Weg gestohlen wird.
Wenn die Bürger das System als ungerecht empfinden, ein Verbrechen zu sein – und wird zur Form der Selbstverteidigung.
In Spanien hingegen ist die Steuerlast beträchtlich, aber die tatsächlichen Einnahmen werden durch eine riesige Schattenwirtschaft geschmälert. Und das ist kein Zufall. Wenn die Bürger das System als ungerecht empfinden, wenn die Mächtigen nicht zahlen, wenn sich Politiker abschirmen, hört Steuerhinterziehung auf, ein Verbrechen zu sein – und wird zur Form der Selbstverteidigung. „Wenn die das machen, warum nicht auch ich?“ So nährt sich der Teufelskreis: Korruption, Misstrauen, Steuerflucht, institutionelle Schwächung… und wieder von vorn.
Einige relevante Zahlen:
der Spanier vertrauen ihrer nationalen Regierung. Im Gegensatz dazu vertrauen 51 % der Europäer den Institutionen der EU.
Eurobarmeter
Spaniens Punktzahl im Korruptionswahrnehmungsindex 2024 (überholt von Ländern wie Lettland und Slowenien und teilt sich die Punktzahl mit Zypern und Tschechien).
Transparncy International
der Informationspflichten (ICIO) werden von den politischen Parteien in Spanien erfüllt.
Haz Revista
Bildung könnte ein Ausweg sein. Doch hier lauert eine weitere Falle: Die korruptesten Länder neigen dazu, ihr öffentliches Bildungssystem zu vernachlässigen – wenn nicht gar gezielt zu sabotieren. Eine gut ausgebildete, kritische und informierte Bürgerschaft ist gefährlich für jene, die vom Machtmissbrauch leben. Deshalb wird im öffentlichen Bildungswesen gekürzt, der staatsbürgerliche Unterricht entleert und soziale Ungleichheit bereits in der Schule gefördert. Gleichzeitig haben sich soziale Netzwerke – einst als Werkzeuge der Demokratisierung gedacht – in Fabriken für Desinformation, Polarisierung und Lärm verwandelt. Sie verwirren statt zu stärken. Sie spalten statt zu verbinden.
Strukturelle Korruption wird bekämpft mit demokratischer Kultur, starken Institutionen und einer Bürgerschaft, die sich nicht mit dem Status quo abfindet.
Ist ein Ausweg aus diesem Labyrinth möglich? Theoretisch ja. Es gibt denkbare Reformen: echte Unabhängigkeit der Justiz, radikale Transparenz bei öffentlichen Aufträgen, wirksamer Schutz für Whistleblower, staatsbürgerliche Bildung von klein auf und echte Bürgerbeteiligung bei der Kontrolle der Macht. Aber seien wir ehrlich: Nichts davon wird geschehen, solange es keinen klaren politischen Willen gibt. Und dieser Wille fehlt. Denn diejenigen, die den Wandel vorantreiben sollten, sind oft dieselben, die vom bestehenden System profitieren.
Strukturelle Korruption lässt sich nicht mit Erklärungen oder Gesetzen bekämpfen, die niemand durchsetzt. Sie wird bekämpft mit demokratischer Kultur, starken Institutionen und einer Bürgerschaft, die sich nicht mit dem Status quo abfindet. Doch wenn diese Bürgerschaft müde, desinformiert oder einfach daran gewöhnt ist, im System zu überleben, wird Veränderung zur Illusion.
Vielleicht ist das der Grund, warum viele heute nicht mehr empört sind, sondern resigniert und zynisch. Als wäre Korruption Teil der Landschaft. Als gäbe es keine Alternative. Und vielleicht ist genau das das Gefährlichste: dass wir aufgehört haben zu glauben, dass es anders sein könnte.